„DESTROYED JEANS“ – Modetrend, Kulturphänomen oder einfach nur stillos?
Haben Sie auch eine „zerrissene Jeans“ im Schrank? Entweder billig bei H+M oder ZARA gekauft oder teuer bei einem edlen Designer? Oder haben Sie etwa Ihrer alten Lieblingsjeans den „In-Look“ verpasst und am Knie oder anderen Stellen selbst die Löcher reingeschnitten?
Viele hatten ja gehofft, dass dieser Modetrend schnell vorbei ist und die pubertäre Gammelphase, die selbst die Erwachsenen erfasst, ihren Höhepunkt überschritten hat. Aber denkste, es wird immer schlimmer. Vielleicht ist es ja auch mehr als nur ein Modetrend und wir haben es mit einer weiteren Phase kultureller Entwicklung zu tun?
Wenn Jugendliche auf diese Weise ihren Protest zeigen oder sich als Symbol einer Rebellion bewusst von der Welt der Erwachsenen und Etablierten abgrenzen wollen, kann man das ja noch verstehen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich in meiner Jugend am liebsten meinen grünen Army-Parka mit US-Flagge anhatte und damit meinen Vater zur Weißglut trieb.
Aber mittlerweile folgen ja Männer und Frauen aller Altersgruppen – bis hinauf zu den Rentnern – diesem ärmlichen Trend und „Jugendwahn“ und rennen gewollt lässig mit ihren kaputten Jeans im „Asi-Look“ durch die Stadt. Oder sie gehen stolz und völlig schamlos damit beim „Edelitaliener“ zum Essen; selbst ein Klassikkonzert in der Oper ist vor ihnen nicht sicher. Und dabei finden sie sich noch hip und overcool. Das macht mich echt sprachlos und ratlos.
Was geht da ab? Was denken sich die Leute dabei? Stellt sich bei Ihnen dann tatsächlich ein Gefühl von Freiheit, Sportlichkeit, Unabhängigkeit, Jugendlichkeit und Coolness ein, so wie es die cleveren Werbefuzzis versprechen?
Natürlich haben es uns die sogenannten Stars, Sternchen, Streetstyler und neuerdings auch „Influencer“ vorgemacht. Dass Till Schweiger eine und Heidi Klum und Madonna mit Sicherheit mehrere zerrissene Hosen im Schrank haben, wundert mich nicht. Und dass auch Comedians, Musiker, und andere Lebenskünstler sich damit zeigen, gehört wohl zum Leben eines Bohemien dazu.
Aber mittlerweile hat diese Seuche alle Schichten der Gesellschaft infiziert. Egal ob Manager, Ärzte, Beamte, Handwerker, Angestellte, in nahezu allen Tätigkeitsfeldern laufen Männer und Frauen nicht nur privat, sondern zum Teil auch geschäftlich mit zerrissenen Jeans durch die Gegend bzw. durch die Büros. Offensichtlich haben Arm und Reich in diesem kulturbefreiten Outfit einen gemeinsamen Ausdruck ihres Lebensgefühls gefunden. Da bin ich wirklich fassungslos.
Der Gipfel dieser „Bekleidungs-Anarchie“ schien mir neulich erreicht, als unsere sonst so seriös und stilvoll gekleidete Tagesschausprecherin Judith R. den Talkshowklassiker 3nach9 mit kunstvollem Knieschnitt in ihrer Jeans moderierte. Das hat mich erschüttert; das hätte ich nicht von Judith gedacht.
Die Textilbranche freut sich, macht riesige Geschäfte und die Marketingexperten finden immer neue Begriffe für diesen Schwachsinn. „Natürlicher kaputter Look“, „Verschlissene Schönheit“, „Lässiger Look in zerstörter Optik“ etc. Die renommierte Modezeitschrift „ELLE“ hat dazu extra einen Styleguide herausgegeben: „ 5 Gebote für den Weg zu einer perfekt zerrissenen Jeans“. Und fast alle bekannten Modemarken hängen sich an den Trend des „Unconventional Dressing“ dran und versuchen damit Umsatz zu machen. Bei DOLCE & GABBANA gibt es im Ausverkauf die „Destroyed Jeans“, die eigentlich nur noch aus Fetzen besteht, schon für unter 200 EUR. Ist das nicht super?
Und so richtig lässig wirkt die zerfranste Gammeljeans, wenn sie durch „fette“ Accessoires geadelt wird, zum Beispiel mit der Tasche von PRADA, den Schuhen von MANOLO BLAHNIK, dem Shopper von FENDI, der Kette von POMELLATO oder der Uhr von BREITLING oder ROLEX. Echt Geil!
Der hippste Trend ist jetzt die „Underbutt-Jeans“, hier werden die Schnitte ganz kunstvoll knapp unter dem Gesäß angebracht, um auch diesem wertvollen Körperteil die notwendige Aufmerksamkeit zu geben. Da bekommt doch der Ausdruck „das geht mir am Arsch vorbei“ tatsächlich eine ganz neue Bedeutung.
Aber jetzt mal ernsthaft. Wenn sich eine hochentwickelte Überflussgesellschaft auf diese absurde Weise optisch präsentiert, dann mag das zwar kulturell interessant sein, aber vor allem sollte man sich fragen, ob hier nicht ein gestörtes Verhältnis zu den „klassischen“ Werten und Tugenden wie Geschmack, Stil, Würde, Respekt und Ordentlichkeit vorliegt.
Wer schon einmal in den armen Ländern der Dritten Welt unterwegs war, wird dort festgestellt haben, dass saubere, ordentliche Kleidung zu den ganz wichtigen Dingen des täglichen Lebens gehört. Die Menschen dort, die nichts oder wenig haben, achten sehr auf ihr Äußeres und sie würden sich schämen, so ungepflegt und gammelig durch die Gegend zu laufen, wie wir es heute vielfach in unseren Städten beobachten können.
Den Trend der Destroyed Jeans kann man durchaus auch als Zeichen einer zunehmenden Armuts- und Sozialverachtung werten, obwohl sich die meisten dieser freizügigen Jeansträger darüber mit Sicherheit keine Gedanken machen.
Aber wie schon der Name „Destroyed“ sagt, ist da etwas zerstört oder zumindest nachhaltig gestört, nämlich das Gefühl dafür, dass es einfach stillos, unwürdig, respektlos und auch dämlich ist, mit bewusst zerrissenen Hosen und neuerdings auch löchrigen Jacken durch die Gegend zu laufen und dafür noch Geld zu bezahlen. Wer glaubt, damit Akzente zu setzen und ein Image von Lässigkeit, Überlegenheit und Unabhängigkeit zu vermitteln, hat aus meiner Sicht das richtige Gespür für sich und seine Umwelt verloren. Frei nach Karl Lagerfeld, der schon beim Tragen einer Jogginghose befürchtet, dass man dann die Kontrolle über sein Leben verloren hat.
Ich halte mich an den Spruch: „An den Federn erkennt man den Vogel“, und ich werde auf keinen Fall meine geliebte alte LEVIS bewusst zerstören und Löcher reinschneiden. Es freut mich, dass sie mir nach all den Jahren noch passt und cool und gepflegt aussieht.